Wenn wir über Schule sprechen, denken viele an strenge Stundenpläne, unflexible Regeln, Lärm, Leistungsdruck. An ständiges Vergleichen. An das Gefühl, „falsch“ zu sein, weil man zu laut, zu leise, zu langsam oder zu anders ist. Für viele neurodivergente Menschen beginnt das Masking genau dort: in der Schulzeit. Früh lernen wir, dass unsere Art zu denken, zu lernen, zu fühlen zu viel oder zu wenig ist – aber selten einfach richtig.
Was wäre, wenn Schule anders wäre?
Nicht nur inklusiv auf dem Papier, sondern wirklich ein Ort, der Vielfalt ernst nimmt. Ein Ort, an dem man nicht nur Leistung bringt, sondern auch gesehen wird.
Stell dir vor, du betrittst eine Schule, in der du nicht in eine Form gepresst wirst. In der dein Bedürfnis nach Rückzug genauso selbstverständlich ist wie die Freude am Sprechen. Schon beim Ankommen fällt auf: Es ist leiser. Nicht still – aber weniger hektisch. Die Räume sind so gestaltet, dass sie Orientierung geben, ohne zu überreizen. Farben sind warm, das Licht ist weich, es gibt klare Wege und gemütliche Ecken. Schuhe dürfen ausgezogen werden. Sitzhaltung? Frei. Wer stehen, wippen oder sich bewegen möchte, darf das tun, ohne dass es als „Störung“ gilt.
In den Klassenzimmern wird nicht frontal unterrichtet. Es gibt verschiedene Lernzonen, je nachdem, wie du am besten lernst. Vielleicht sitzt du lieber mit Kopfhörern in der Leseecke. Vielleicht brauchst du jemanden, der dir Dinge erklärt, während du zeichnest. Vielleicht möchtest du Wissen in Bewegung aufnehmen – durch Spiele, Projekte, echte Begegnungen. Und vielleicht brauchst du manchmal einfach Zeit. Die gibt es hier. Kein ständiger Leistungsdruck. Keine starren Zeitfenster, in denen alles „funktionieren“ muss.
Die Lehrpersonen sind nicht allwissende Instanzen, sondern Begleiter*innen. Sie fragen dich: „Wie lernst du am liebsten?“ und „Was brauchst du heute, um dich sicher zu fühlen?“ Fehler sind keine roten Kreuze, sondern Einladungen zur Neugier. Und wenn du mal nicht mitmachen kannst, wirst du nicht beschämt – sondern ernst genommen.
Pausen sind keine Lücken im Stundenplan, sondern bewusst gestaltete Zeit. Es gibt stille Rückzugsorte für Reizüberflutung und lebendige Höfe für Bewegung. Das Essen in der Mensa ist reizarm gegliedert, die Lautstärke geregelt. Du darfst allein essen oder mit anderen – ohne Druck.
Auch die Sprache ist anders. Statt Bewertungen gibt es Beschreibungen. Statt Zeugnisse gibt es Gespräche. Du bekommst Feedback zu deinen Ideen, nicht nur zu deinem Verhalten. Du wirst nicht ständig mit anderen verglichen. Es geht nicht darum, in Mathe genauso gut zu sein wie in Deutsch, sondern darum, herauszufinden, was dich interessiert – und wie du darin wachsen kannst.
Und dann ist da noch das Wichtigste: Du darfst du sein. Du musst dich nicht verstellen, nicht „funktionieren“, nicht anpassen, um dazuzugehören. Deine Art zu denken, deine Besonderheiten, deine Interessen – all das ist Teil des Lernens, nicht Hindernis.
Am Ende des Tages gehst du nicht mit einem Kloss im Hals nach Hause, sondern mit dem Gefühl, gesehen worden zu sein. Nicht perfekt. Aber vollständig.
Diese Schule gibt es noch nicht überall. Aber sie beginnt dort, wo wir aufhören, Kinder und Jugendliche zu normieren – und anfangen, ihnen zuzuhören. NeuroSpace in der Schule bedeutet: Ein Ort, an dem Entwicklung nicht standardisiert, sondern ermöglicht wird.
Im nächsten Teil reisen wir weiter – vielleicht nach Hause, in die eigenen vier Wände. Denn auch dort entsteht Raum für Sicherheit, Struktur und Entfaltung. Raum, in dem wir nicht nur funktionieren, sondern leben dürfen.